Zuerst die Ausgangslage. Betrachtet man die Angaben zum Wahlkompass standen eine Reihe Parteien zur Wahl die programmatisch recht unterschiedlich voneinander platziert waren: von der links-progressiven (freiheitlich-sozialen) Linken bis hin zur rechts-konservativen (neoliberalen) FDP und der ultrakonservativen (nationalistischen) AfD. Die Linken scheiterten knapp an der 5%-Hürde, Grüne, SPD, FDP, CDU und AfD kamen rein.
Wie auch bei der Bundestagswahl: der größte Feind der Volksparteien ist Gevatter Tod. Laut der ARD Statistik zur Wählerwanderung verloren sowohl SPD als auch CDU die meisten ihrer ehemaligen Wähler an die lokalen Friedhöfe, insgesamt eine Viertelmillion. Es gibt also weiterhin Hoffnung für die pluralistische Demokratie. Weiterhin wie bei der Bundeswahl: die Mehrheit der Zugezogenen und Neuwähler gingen nicht zur Wahl. Interessant dabei, daß von den 360 Tausend die Niedersachsen verlassen haben, mehr als die Hälfte eh nicht gewählt haben vor 4 Jahren. Man migriert gerne und viel in deutschen Landen (übrigens: seit mehreren Tausend Jahren, deswegen heißt Frankreich auch Frankreich und nicht Gallien) und es dauert immer ein wenig bis man sich heimisch fühlt.
Das politische Distanz-Netz der 6 größten niedersächsichen Parteien. Die Größe der Kreise entsprechen der tatsächlichen Stimmenzahl und dem Anteil der nicht weitergewanderten (Kern-)Wähler. |
Im Vergleich zur Bundestagswahl fällt auf, daß der niedersächsische Wähler migrationsfreudiger war, was ein gutes Zeichen für die Demokratie ist. Treugeblieben ihren Parteien sind gerade mal etwas mehr als ein (FDP: 39%) bis zwei Drittel (SPD: 67%) der Wähler. Der Schwund bei der FDP, viele ihrer ehemaligen Wähler sehnten sich wohl nach harter Hand und fürchteten die Freigabe von Cannabis, hätte existensbedrohend sein können, wurde jedoch dank einer moderaten Gegentransfusion von der großen Schwester CDU abgemildert. Hier zeigt sich mal wieder, daß der migrationsfreudige Teil des Wahlviehs (Niedersachsen ist stark landwirtschaftlich geprägt) weniger nach tatsächlicher politischer Ausrichtung der Partei seinen Stall wählt als aus irgendwelchen vorgeblich „wahltaktischen“ (oder gefühlsmäßigen) Gründen. Da es von vorneherein als ausgemacht galt, daß weder Rotgrün noch Schwarzgelb eine Mehrheit haben werden und 3-er Koalitionen aus Parteien, die sich auch politisch nahestehen (RotRotGrün vs. Ultra-Blau) von vorneherein ausgeschlossen wurden, trieb es genauso 5-mal mehr ehemalige Grünenwähler zur SPD als andersrum. Auch wenn das Stimmvieh immer gegen die „GroKo“ murrt, so geht es doch fleißig heim zu den ehemaligen Volksparteien, wenn sie als einzige Möglichkeit auf der Agenda steht! Darauf ein Schnaps mit Bier.
Übersetzt in tatsächliche Migration im 2-dimensionalen Raum bedeutet dies einen ordentlichen Rechtsrutsch (im klassischen Sinne; siehe dazu auch den Vergleich mit Österreich), wie schon bei der Bundestagswahl.
Wählerwanderung bei der Niedersachsen-Wahl hin zu rechteren und/oder konservativeren Parteien. Die Wählerströme entsprechend der ARD Statistik sind als Pfeile dargestellt. Beachte, daß recht viele Migranten zu Parteien gewechselt sind, die z.T. deutlich andere Positionen vertreten was klassisch soziale und freiheitliche Themen angeht (siehe dazu den post vor der Wahl und den zum Vergleich mit Österreich) |
In der Summe wanderten fast 400.000 Niedersachsen zu neoliberalen und/oder autoritäreren Parteien (rechter und konservativer im Wahlkompass), die größte Herde waren ehemalige Grünen-wähler die es zur SPD oder gar der CDU trieb, dem Vorbild von Elke Twesten folgend. An letztere immerhin 33000 (etwa 1% der Wählerschaft) geht der Beringstraßen-Preis der Niedersachsenwahl für den weitesten Weg: die niedersächsischen Grünen und CDU liegen im Schnitt in jedem Punkt des Wahlkompasses überkreuz. Arg geändert haben sich weder Grüne noch die CDU. Es handelt sich dabei also um Wähler, die entweder vor vier Jahren keine Ahnung hatten, wen sie da wählten, oder aber am vergangenen Sonntag. Die zweitgrößte Herde waren die zur CDU gewechselten FDP-ler. Letztere steht zwar wirtschaftspolitisch deutlich rechts von der CDU (und jeder anderen Partei), ist allerdings weniger konservativ (in Niedersachsen) und steht hier etwa auf der Höhe der SPD.
Immerhin eine Viertelmillion ging den anderen Weg, hin zu mehr freiheitlich-sozialeren Parteien (linker und progressiver im Wahlkompass).
Allerdings lag dies vor allem an einer 100.000-er Herde, die es von der CDU zur SPD trieb. Hier gilt auch in Niedersachsen was im Bund gilt: es ist nur ein kleiner, recht schmerzfreier Sprung. Im Schnitt lagen CDU und SPD gerade mal 1.3 Kategorien (i.e. politische Distanz, PD, von 1.3) voneinander entfernt im Wahlkompass, was nicht wesentlich mehr ist als bei den natürlichen Partnern CDU und FDP (PD = 1.1) bzw. AfD (PD = 0.8; ja liebe Niedersachsen-CDU, die AfD ist euch näher als die liebgewonnene FDP, darauf noch ein Schnaps mit Bier!) oder SPD und Grüne (PD = 1.1) bzw. Linke (PD = 1.2). Dazu mehr im Vor-der-Wahl post.
Übrigens, falls man wirklich die „GroKo“ verhindern will, liebe Niedersachsen (anscheinend findet das nur ein Viertel von euch gut), sollte man gerade nicht SPD oder CDU wählen. Die kriegen immer genug, dafür sorgen schon die Migrationsmüden, die noch nicht gestorben sind. Es ist auch immer wieder ulkig zu sehen, daß in den Umfragen 68% der Niedersachsen angegeben haben, sie hätten gerne die Grünen in der Regierung und immerhin 53% die FDP und dann so wählen, daß weder das eine noch das andere möglich ist. Jamaika und Ampel wollten – und zurecht, schaut man auf die programmatische Ausrichtung in Niedersachsen – genauso wenig wie die GroKo. Bildung schadet nicht, und das gilt auch für politische Bildung. Darauf noch ein letzter Schnaps mit Bier!
Weitere posts zur Niedersachsenwahl
Generelles zum niedersächsischen Wahlkompass und der Einstufung der niedersächsichen Parteien:https://researchinpeace.blogspot.com/2017/09/ein-paar-infografiken-fur-die-wahl-in.html
Kartieren der Standpunkte der Parteien auf das hier gezeigte Netz:
https://researchinpeace.blogspot.com/2017/09/add-on-zur-landtagswahl-in.html
Der Vergleich mit der Nationalratswahl in Österreich (ähnliche Größe wie Niedersachsen, aber natürlich viel wichtiger, ist ja ein selbständiger EU-Staat):
https://researchinpeace.blogspot.com/2017/10/rechtsruck-in-osterreich-aber-nicht-in.html
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