Translate

Willkommen im Wunderwuzziwolkenland

Als ehemaliger österreichischer Arbeitnehmer verfolge ich ab und an was im südöstlichen Bruderstaat der Bayern vor sich (und vor die Hunde) geht. Dank der ultrarechten (= lupenrein neoliberalen) autoritären schwarzbraunen Regierung ist Österreich auch wieder politisch interessant geworden.

Für alle Nicht-Österreicher, Österreich ist (immer noch) das Paradies daß Horst I., König der Bayern, für sein Reich beschwört. Gerade auch für Arbeitnehmer, insbesondere Deutsche (auch wegen der recht ähnlichen Sprache, insbesondere für Altbayern, denn sie sprechen – so die Linguisten – nämlich dieselbe). Was man unschwer übersehen kann, wenn man wie ich (und viele andere Gastarbeiter aus dem Nordwesten) in Wien gearbeitet hat: Egal wo man hinkommt, wartet schon ein anderer Piefke, und es sind nicht nur Touristen, sondern Studenten (keine Studiengebühren, und Wien hat einen gewissen Charme) und deutsche Arbeitskräfte, die den Österreichern die Studien-, Wohn- und Arbeitsplätze wegnehmen (dazu das Jugendmagazin der bayerischen Lügenpresse). Wo bleibt die Mauer nach Bayern?!

Mein Gehalt als eingeladener Wissenschaftler auf Zeit entsprach dem schwedischen Verdienstniveau (bei ähnlichem Versicherungsniveau), nicht das einzige was mich in Wien an Deutschland der 80iger erinnerte. Besonders verstörend war, daß ich ein 13. (im Juni für den Urlaub) und 14. (im Dezember für die Weihnachtsgeschenke) Monatsgehalt bekam (jeweils ein volles, allerdings bedient sich da der Staat über die Steuer, was den Österreicher granteln läßt) und gleich am ersten Abend in Wien (4. Bezirk) beim Einkaufen im Billa an der Ecke begrüßt wurde mit einem Aufruf zur Kassa zu gehen, denn es war schon viertel nach sechs. Damit nämlich alle durch sind, wenn der Laden um halb-sieben schließt (PS Tip für Neuwiener Spätaufsteher und -arbeiter: einfach Ausschau halten nach den Strandlern, die lagern sehr gerne in der Nähe der Läden, die bis 10 Uhr aufhaben, und auch am Wochenende.

Frontansicht vom Franz-Josef-Bahnhof im 9. Bezirk, Anlaufstelle für Akademiker und andere Prekariatler (Billa bis 10 Uhr offen, und am Wochenende; Traffik und Junk-/Fastfood vor Ort). Bildquelle: Wikimedia Commons, by Priwo
 

In der Beziehung hat Österreich (40-Stunden-Woche) immer noch recht viel mit Frankreich gemein (offiziell 35-Stunde-Woche, effektiv 39/40 — man bekommt dann zwei extra Urlaubstage pro Monat), aber auch Jupiter, unser Wahlmonarch, ist schon fleißig am "flexibilisieren" um auch Frankreich wieder groß zu machen. Um fünf ist Feierabend (wobei 10 Stunden auch bisher schon erlaubt waren) und man geht heim (bzw. reiht sich auf der Tangente etc. in die Blechschlange, wo man gut und gerne 1–2 Stunden verharrt).

Mit derartigen wirtschafts- (ganz im Sinne von Wunderwuzzi Kurz und seiner Applaudierliste, der ehemaligen ÖVP) und freiheitsfeindlichen (ganz im Sinne der freiheitsliebenden FPÖ) Unsitten dürfte jetzt Schluß sein dank Wunderwuzzis Make-Austria-Great-Again Politik. Denn in Zukunft darf der österreichische Arbeitnehmer noch "flexibler" arbeiten, nämlich bis zu 12 Stunden am Tag. Das gab' es auch schon mal, nämlich als arme Albschwaben u.ä. ihre überzähligen Kinder an österreichische Werber verkauft haben um bei den reichen Alpländern das Vieh zu hüten.

Aber im 21. Jhdt. ist das ganz anders, denn Österreich ist jetzt ein Happy Hippo-Unikitty-WunderwuzziW(K)Olkenland.



Und wie schon bei der wunderlichen Bildreturschieraffäre, überläßt man alles dem griffigen Song — Video verlinkt am Ende dieses Posts: es wirkt am besten, wenn man erstmal die Fakten kennt und nicht vorurteilsbeladen mit Daumen-runter abstimmt. Wohl in der Hoffnung der österreichische Arbeitnehmer (laut FPÖ eine verschwindende, vom Aussterben bedrohte Minderheit im überfremdeten Relikt und Herz eines über 1000 Jahre alten Vielvölkerreichs) und Wähler ist wie sein Trump'sches Ebenbild: extrem lesefaul. Und sicher nicht auf den "Mehr zum Thema" Button klickt, wo sieben Vorurteile über das neue Arbeitsgesetz klargegerückt werden.



Vorurteil #1 – höret die Gummiuhr


"... oder bekommen die Überstunden ausbezahlt" — wenn man dann doch (faktisch) 60 Stunden pro Woche arbeitet, kann wenigstens der Partner (typischerweise die Frau, verdient eh weniger: Equal-Pay-Day ist in Österreich heuer der 27. Februar) oder die Kinder, die entfremdete Brut, mehr auf den Kopp kloppen. Ganz nach dem Motto des Songs und der Kampagne: Schafft sich der eine den Buckel krumm, freut es alle anderen.



Vorurteil #2 – Glaube der Knete!


Keine Ahnung woher dieses Vorurteil kommt, so neoliberal wird selbst Wunderwuzzi nicht sein, immerhin ist sein Koalitionspartner ja eine ordentlich nationalistische und sozialistische Partei, ganz im Sinne der Bleu Marines Rassemblement/Front Nationale und einem bekannten österreichischen Politflüchtling der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts.


Einordung rechtslastiger politischer Parteien entlang einer wirtschaftspolitischen (links-rechts) und sozialpolitischen Achse (autoritär-liberal). Parteien, die in meinen vier EU-Staaten zur Wahl standen (Deutschland, Frankreich, Österreich, Schweden) und in die Parlamente kamen. Punkte: Einordnung durch den Political Compass, Felder, Abschätzung meinerseits. D.p. = frz. Droite parlementaire, M.p. = frz. Majorité présidentielle.



Vorurteil #3 – Roboter lügen nicht, schon gar nicht so knubblige


Lustig, der Chef sagt (typischerweise männlich in Deutschland und Österreich), Du malochst voll durch, wie es ihm gefällt. Aber nicht "auf Abruf", sondern vorher, so daß du im Vorraus schon mal deine Freizeitaktivitäten verschieben kannst. Sprich das Jungfußballertraining oder was man sonst noch ehrenamtlich macht (Kirchweih organisieren) auf unbestimmt verschieben ... und wenn ein Auftrag reinkommt am Morgen, wird sich natürlich jeder Chef an das Vorankündigungsgebot halten, und nicht auf die Idee kommen: heuer bleibst 12 Stunden. Denn wir lieben uns alle ("ist der eine, nämlich der Arbeitgeber, froh..."). Wie auch Fakt #4 zeigt...



Vorurteil #4 –  die Barbapappas wissen's besser


Süß die kleinen Bubbel, nicht? Aber wo ist Barbapappa, der große Blaue, der die 12 Stunden abreißt wie nix, und Barbarix, der zottelige schwarze Künstlersohn (hm, schwarz und sieht anders aus, sicher adoptiert)? Und alles in Unikittyrosa als Hintergrund. Aber ist der kleinste krank, weil er 12 Stunden in der Kita gesessen hat (Barbamamma ist offensichtlich alleinerziehend und braucht die Überstunden) oder kann einfach noch nicht auf eigenen Füßen stehen?

"Genauso wie Sie Verständnis für die Auftragslage Ihres Unternehmens haben..."
— Chef: Die Woche heißt's malochen, die vollen 60 Stunden.
— Arbeiter: Klar, gibt ja extra Kohle für alle. Kroatien wird auch immer teurer.

"... hat Ihr Chef Verständnis für Ihre privaten Termine"
— Arbeiter: Chef, ich muß am Freitag mal nach acht Stunden Schluß machen. Übung mit der freiwilligen Feuerwehr.
— Chef: Die Woche heißt's malochen, wer soll denn sonst die Arbeit machen?

Und er hat recht damit. Denn wenn man bei Bedarf alle seine Arbeiter noch zwei Stunden pro Tag länger schuften lassen kann, kann man klasse mit einer Minimumbesetzung durchkommen. Falls die Stammbelegschaft dann krank ist o.ä., einfach das österreichische auf das deutsche Modell des "Werksvertrags" (dazu ein Video) anpassen.



Vorurteil #5 – Die knuffelige Pixarlampe erklärt


Ach, Prozentwerte, wie viele da wohl befragt worden sind, Wunderwuzzis Kabinettsmitglieder? Und vor allem, lautete die Frage tatsächlich "Könnten Sie sich vielleicht vorstellen auch mal länger zu arbeiten?" oder "Wären Sie bereit unregelmäßig für ihre Firma ihren Feierabend zu opfern, wann immer es die Auftragslage verlangt?"

Auch ganz trumpig, das "Fakt" hat keine Quellenangabe. Wir erinnern uns "real unemployment rates of 42%", hab' ich gehört, vuvuzuelatete Trumpelchen noch 2016 raus. Wir werden es wohl nie erfahren.

PS "Phasenweise" sieht in Deutschland gerne mal so aus (schon ganz flexibel), daß man auf dem Überstundenkonto gerne mal 100 oder mehr Stunden akkumuliert (auch wenn das eigentlich nicht erlaubt ist, aber wenn die Auftragslage...) Dafür kann man dann (vielleicht) ein paar Monate früher in Rente gehen. Und in Frankreich darf man einen Teil der vier Stunden, die man pro Woche (effektiv unbezahlt) extra arbeitet und als RTT (extra-Urlaub) vergütet bekommt, auch ansparen für die frühere Rente.


Vorurteil #6 – Pack die Badehose ein ...


Und weil das so toll ist, ist es auch so verdammt schwierig (mit der entsprechenden Qualifikation, z.B. als Geophysiker oder Bohrtechniker) auf einer Ölplattform einen Job zu bekommen. Und dort kriegt man mehr als 50% Zuschlag, und für jede Arbeitsstunde. Haut 10 Tage/2 Wochen durch, und hat dann den Rest des Monats frei. Von wegen gesundheitlichen und sozialen Folgen, norwegische Staatsbedienstete (Statoil finanziert erheblich die Wissenschaft) stellten in diesem Review (open access) von 2013 fest, die Belege seien "inconsistent", d.h. mal so, mal so. Hängt halt sehr davon ab, wer fragt und wer antwortet ... ideal für politische Argumentation.

Länder wie Schweden zeigen, daß flexible Arbeitszeiten gut ankommen können (nennt sich flextid, manchmal auch in Kombination mit hemarbete, Heimarbeit, aber gut Schweden mit seinen 10 Mio. Einwohner und einem BIP pro Kopf von ~53.000$ ist ja auch kein Vergleich zu Österreich, mit knapp 9 Mio und 49.000$), aber dort wird die Wochenarbeitszeit nicht flexibilisiert. Wenn die 40 Stunden voll sind, muß der Arbeitgeber einen heimschicken für den Rest der Woche. Flexibilisierung von Wochenarbeitszeit ist ein lupenrein-neoliberales Geschenk an die Arbeitgeber, weil sie dadurch die Stammbelegschaft reduzieren können. Dazu nochmal die Grafik aus meinem Post zur Wahl in Bella Austria und der FPÖ, die Retterin der Arbeiterschaft.

Zusammensetzung des derzeitigen Nationalrats (obere Hälfte), und das hypothetische proportionale Gegenstück. Österreich ist eines der wenigen Länder in der offen-(ultra)rechte, d.h. neoliberale, Parteien keine Mehrheit haben, aber mit Wunderwuzzi den neoliberalen Posterboy zum Kanzler gemacht haben. Im Kern ist die FPÖ halt doch nur die braunere Variante der deutschen (ehemaligen) Pünktchenpartei FDP (die fast immer auch latent nationalistisch war). Unsere FPÖ, die AfD, ist hingegen klar neoliberal in vielen Punkten.



Vorurteil # 7 – Die Kuckucksuhr (ist die nicht badisch?) gibt Euch den Rest


Toll. Im EU-Schnitt, der nun mehr 26, darunter nicht wenige Billiglohn-/Arbeitsausbeutungsländer. Zum Vergleich: Österreich ist eines der reichsten Länder nicht nur der EU sondern der Welt (21. in 2017 beim kaufbereinigten pro-Kopf Einkommen) und ausgesprochen glücklich (Platz 17 beim globalen Happiness Ranking (Chapter 2, Fig. 2.2; mit 7.1 Punkten, Spitzenreiter Finnland hat 7.6, Deutschland knapp 7, Frankreich 6.5, das europäische Armenhaus Albanien 4.9 und Schlußlicht Burundi 2.9; wir haben das mal als Netz aufbereitet; hier noch ein paar weitere Grafiken dazu). Eigentlich sollte man dann erwarten nicht nur EU-Schnitt zu sein, sondern, auch was Arbeitszeit angeht, deutlich besser als der Schnitt. Fakt ist: 39.6 Wochenarbeitszeit (auch im Schnitt und wenn's stimmt) sind super für einen 2.-Welt-Staat wie die U.S.A., aber kein Grund zu jubeln für ein kleines, recht feines Land wie Österreich.

Übrigens, auch echt toll wie sich dank nur ein paar Monate schwarzbrauner Österreicherliebe, das um ganze 3.2 Stunden gedrückt worden ist, denn für 2016 gibt z.B. de.statista.com folgendes:
  • Spitzenreiter: Griechenland mit 44.6 h
  • Dann die Vereinigten Königreich, ein Land bekannt seit Jahrzehnten für seine anti-neoliberale Politik.
  • Und die Bronzemedaille geht an Österreich, wohl auch dank der jetzt-schon-flexiblen 10 statt 8 h (auf Anfrage).
Aber damals lag ja auch der EU-Durchschnitt höher – sage und schreibe 0.8 h! Und wer traut schon Umfragen (siehe Fakt #5; für die Primärdaten/Quellen muß man bei statista.com natürlich zahlen; für die 39.6 h der Kuckucksuhr fehlt jede Quellenangabe). Neoliberal-anmutende Bewertungsseiten ordnen Österreich auch im Mittelfeld an, mit 36.7h, hochgerechnet auf die Lebensarbeitzeit, während die dezidiert wirtschaftsfreundliche FAZ (so nah am Geld, sollte keine Zeitung aufgelegt werden) Österreich 2012 in die Topgruppe gestellt hat, Platz 4 hinter Rumänien, Deutschland (natürlich), Großbrittanien mit 40.3 h.



Natürlich gibt es noch mehr tolle Information und quellenschwangere "Fakten" auf der WKO Seite, hier das Komplett-PDF, u.a. auch daß überlange Arbeitzeiten nicht krank machen, wie man an den glücklichen Gesichtern der Schwestern, Pfleger und Assistenzärzten in den Kliniken sehen kann, wenn sie ihre Doppelschichten fahren.

Sind ja auch super begehrte Jobs, weil so flexibel sind. Dazu ein paar Artikel im sozialistischen Kampfblatt Ärzteblatt über die Situation beim großen Nachbarn; der sogenannte Pflegenotstand (mit kleinem Wikipedia-Eintrag) ist wohl auch kein kleines Thema in Österreich (Kurier, Okt. 2017; Standard, November 2017; ORF-Salzburg, Nov. 2017). Oder neues (siehe auch diese Studie von 2003).

Lustig auch, daß die Österreicher-freundliche Bundesregierung einem das Paket in gummibunter Bonbonform unterjubelt. Natürlich blieb es nicht unkommentiert (z.B. auf Getwitter #wko; #12StundenTag).

Aber sollte man sich wundern? Sicher nicht. Jeder, der diese Regierung gewählt hat (nicht das man in Österreich wirklich eine Wahl gehabt hätte), hat genau das bekommen, was er wollte. Ganz viel Knete!




Und sollte ein Österreicher sich bis hierhin verlaufen haben, es gab' am 16.5.2017 eine wundervolle Folge der Pifke-Sendung "Die Anstalt", wie flexibel Deutschland schon arbeitstechnisch geworden ist, bei uns dank der Sozis auch ohne AfD oder FDP, den deutschen Schwesterparteien der FPÖ und Wunderwuzzis (hier die Episodenliste und die ZDF Mediathekseite; Folgen bleiben 1 Jahr verfügbar, bisher kein Geoblocking und so manches kann auch den Österreicher interessieren). So kann es bei Euch auch noch werden im Wunderwuzziwolkenland. Denn, von den Deutschen lernen, heißt siegen lernen, nicht wahr?


Zur Infantilisierung, hier noch ein Screenshot (23.1.2019), was man als weitere Auswahl von YouTube präsentiert bekommt, wenn man unangemeldet das Wunderwuzziwelt der Arbeit Video anschaut. Der Song ist einfach göttlich, nicht? Die Realität (siehe auch meine Woche mit dem Trumpel) hat Satire echt überflüssig gemacht in unseren postfaktischen Zeiten.


No comments:

Post a Comment

Enter your comment ...