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Wer hat Angst vor'm bösen Wolf? Teil 2: Sachsen

In Teil 1 gab es eine kleine Einleitung und das Wahl-O-Mat Netz für die kommende Landtagswahl in Brandenburg. Teil 2 für Sachsen ist interessanter, weil a) viel mehr Parteien mitmachen, und b) die bisher recht staatstragende Sachsen-CDU, eine Partei mit vielen Parallelen zur bayerischen Staatspartei CSU, sich sehr schön in eine polititsche Sackgasse manövriert hat, wie man gut am Wahl-O-Mat Netz sehen kann.

Ähnlichkeitsnetz zur Landtagswahl in Sachsen basierend auf dem Wahl-O-Mat Fragenkatalog. * Links- bzw. Rechtsextrem laut Verfassungsschutzbericht.

Im Gegensatz zu Brandenburg (Teil 1), positionieren sich die Parteien in Sachsen nach einem deutlichen Linksrechts-Schema, inklusive der hoffnungsvollen Landtagsaspiranten: Linke, Grüne, SPD vs. CDU, FDP und AfD. In Sachsen regiert seit Einführung freier Wahlen die CDU, die nicht ganz so alte Dame (im Osten) SPD spielt keine Rolle oder die des unwilligen Mehrheitsbeschaffers, hat also nichts zu verlieren in der Opposition zur deutlich rechtskonservativen CDU und dem sich in der AfD manifestierenden Zeitgeist, im Gegensatz zu ihrer Schwester eins weiter im Norden.

Wie auch in Brandenburg, orientiert sich die sächsische ÖDP an den linksliberalen (im engeren Sinne) Parteien, im Gegensatz zu ihren Westvarianten, wo sie eher konservative mit ökologischen (grünen) Ideen zu verbinden versucht. Die Position der KPD (Ost-Neugründung, keinerlei Verbindung zur klassischen deutschen Partei gleichen Namens) abseits der Linken und Grünen spiegelt auch sehr gut die Ausrichtung dieser Kleinstpartei wieder: zwar klar links, aber mit einem ausgesprochen deutlichen Hang zum Populistischen. Eigentlich programmatisch das, was durchaus viele vom Neoliberalismus und Globalismus abgeschreckte AfD-Sympatisanten ansprechen müßte. Letztere, die AfD, ist auch in Sachsen wirtschaftpolitisch nicht weit weg von den ausgesprochen rechten (neoliberalen) Parteien (bzw. Interessenvertretungen) des vielgeschmähten sogenannten Establishments, der CDU und FDP.

Warum ich immer die Partei mit dem Gärtner wähle: Zusammensetzung des Bundestags nach Berufsgruppen (Quelle: www.bundestag.de, Stand Januar 2018).


Linke (alle Thesen beantwortet mit „stimme zu“ oder „stimme nicht zu“), gefolgt von AfD, den Grünen, KPD und PARTEI (je ein „neutral“) zeigen in Sachsen die klarste Kante. Hier lohnt es sich, mal die Begründungen anzuschauen.
  • Die AfD ist „neutral“ bei der Frage nach der Unterstützung von Projekten gegen Rechtsextremismus (man könnte ja selbst betroffen sein). Die offizielle Begründung ist durchaus amüsant: die „einseitige Konzentration auf Rechtsextremismus verspielt die Glaubwürdigkeit des Staates und seiner Institutionen“, aber hat den „Phänomenbereich [nicht] zurückgedrängt“ (wie man am einzigen „Flügel“ der im Auftrieb befindlichen AfD gut sehen kann). Nebeninfo: Es gibt zwar Linksextremismus, Islamisten und anderen religiösen oder außerstaatlichen Fanatismus in Deutschland, aber die Gewalt geht vorwiegend von Rechts aus. Der Verfassungsschutzberich 2018 [PDF] weißt 27656 Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus, Angriffe auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Davon gehen 70% auf das Konto der Rechten. Übrigens eine Parallele zu den USA mit ihrem AfD-konformen Präsidenten (siehe Teil 1) und Kongressmitgliedern (eingemischt bei den Republikanern, der Grand Old Party).
  • Die Grünen sind hin- und hergerissen, was die Beteiligung an Kita-Kosten angeht. Langfristig sollen sie gebührenfrei sein, aber kurzfristig nicht zwecks schnellem Ausbau. Die Betreuungsquote ist im Osten dank Soli und Aufbau Ost jetzt schon höher als im Westen. Sachsen liegt mit 51% deutlich über dem Bundesdurchschnitt und fast auf dem Durchschnitt Ost (s. Bericht der statistischen Bundes- und Landesämter [PDF]).
  • Die PARTEI stimmt der Landarztpflicht (Teil der Studienplätze werden reserviert für Studenten, die im ländlichen Raum als niedergelassener Arzt praktizieren wollen) nur unter der Bedingung zu, daß im Ausgleich die Wölfe in die Metropolregionen ziehen dürfen. Was durchaus Sinn macht, je länger man drüber nachdenkt.
  • Die KPD hat keine Meinung zur Wolfsfrage/-schutz/-jagd. Für einen waschechten Marxisten-Leninisten ist der Wolf ein Unding, da er im quasi-kommunistischen Rudel lebt, aber Schwächere (Schafe, unangeleinte Hunde) reißt. Spaß beiseite, demonstriert das Neutral bei dieser Frage sehr gut die generelle Ausrichtung der KPD als links-..., dazu gehört in Deutschland auch: der Wolf als Freund, ...-nationalpopulistische Partei, Stichwort: Dackeltod/ eingewandert.
Mehr als 15% „neutral“ (mind. 6 aus 38 Thesen) findet man bei CDU, SPD, FDP (den westdeutschen Altparteien, im mehrfachen Wortsinne), der Tierschutzpartei und dem BüSo.


Der schwarz-braune Farbenkreis (frei nach Goethe


Während wir auf der 'Linken' eine relative klare und altbekannte Struktur erkennen mit klassischen Thesenkomplexen, die in jedem Wahl-O-Mat links von rechts unterscheidet (mehr Ökologie, mehr soziales Engagement, auch wenn es auf Kosten der Wirtschaft geht), ist die 'Rechte' stark aufgefächert im Sachsen-Graph. Der Grund hierfür ist, daß mit den Klein(st)parteien NPD und APDM („Aufbruch deutscher Patrioten – Mitteldeutschland“) mehr oder minder offen rechtsradikale Gruppierungen antreten, die dem klassischen Ideal des Faschismus nacheifern: wirtschaftspolitisch mit einem linken Touch, aber sozialpolitisch erzkonservativ und ultranationalistisch: im Prinzip was auch Le Pens Rassemblement national (ehem. Front national) predigt und Orban in Ungarn bzw. die PiS in Polen auf Regierungsebene praktiziert (vorwiegend mit EU-Mitteln und wenig Gegenwehr von Seiten der 'mitte-rechts' Parteien und der neuen EU-Kommissionspräsidentin). Mit den Blauen (Petrys altneu-AfD) und der PDV („Partei der Vernunft“, in Sachsen etwas brauner als auf Bundesebene) hat man Parteien, die eine Brücke bilden zwischen der ultrarechten, aber noch einen Tick liberalen sächsischen FDP (programmatisch angesiedelt zwischen der geld-liberalen hessischen und land-konservativen niedersächsischen FDP) und der populistischen, dezidiert rechtsautoritären AfD. Die freistaatstragende CDU wird dadurch etwas isoliert, sie ist wirtschaftpolitisch nicht so rechts wie FDP und nicht so offen fremdenfeindlich und nationalistisch wie die AfD (die übrigens auch in Sachsen und sonst im Osten vorwiegend mit Immigranten aus dem Westen antritt). Für die CDU sieht es sehr schlecht aus: Alleine mit der noch sehr nahen FDP (um die 5%) wird es sicher nicht reichen und mit dem anderen willigen Koalitionspartner SPD (wohl unter 10%) auch nicht.

Was die Regierungsbildung angeht, wird es also spaßig. Denn die mit Abstand größte Übereinstimmung hat die CDU nun mal ausgerechnet mit der schmuddeligen AfD (in 30 von 38 Thesen konfliktfrei), mit der man auf keinen Fall koalieren darf.

Schnittmengen verschiedener möglicher und unmöglicher Koalitionen für Sachsen (basierend auf der Forsa Umfrage vom 9.8.). Die erste Zahl gibt die Anzahl der Wahl-O-Mat Thesen an, bei denen alle Partner übereinstimmen (zustimmen oder ablehen), die zweite, die Gesamtzahl der konfliktfreien Thesen (entweder Zustimmung oder Ablehung plus „neutral“).

Das ganze Geschwätz und Getue rechts liegenlassend, könnte die Sachsen-CDU wohl in einer Haselnußkoalition weiterregieren wie bisher, ein bisschen good-cop-bad-cop spielen in der Ausländerfrage und die bestehende „Achse der Willigen“ Rom-Wien-München (O-Ton Seehofer Sommer 2018) bis nach Dresden ausbauen. Visegrad-konform ist die einzige Freistaat-CDU allemal (siehe Thesen oben) und in der Beziehung wird die ausländerfeindliche aber ausgesprochen russlandfreundliche AfD (dazu die AfD) kein Stolperstein sein. Auch ist es nicht unwahrscheinlich, daß sich die schon durch die Erstellung einer Kandidatenliste überforderte AfD (dazu ein Artikel meiner geliebten „linksliberalen Lügenpresse“) weiter zerlegt (sowohl die Blauen als auch die ADPM sind AfD-Abspaltungen). Einmal wegen der ungewohnten Regierungsverantwortung (siehe Österreich, der erste Tabubruch, damals noch mit Haider) und einer Wählerbasis, die vom bekennenden Neonazi (der eigentlich NPD wählen müßte, aber die kommen ja nicht ins Parlament) bis zum frustrierten Renter (das BüSo wäre die Partei der Wahl; die neue KPD eine Option für den fremdenfremdelnden DDR-Nostalgiker) alles umfaßt was die „Altparteien“ ablehnt. Glück-auf, würde die Sachsen-AfD noch während der Legisturperiode implodieren und die CDU könnte sich als die letzte Rettung Sachsens profilieren. Behütender Garant der Stabilität und nicht-wirklich christlicher Ideale, dafür viel anti-#GretaThunberg und anti-Linksliberales im Programm (auch hier läßt das EU-Ausland und die USA grüßen), aber ohne die AfD-typischen verbalen Entgleisungen und Schmutzeleien (gesammelt u.a. von den Volksverpetzern). Dinge, für die man auch die AfD hatte wählen können:
  • Besitz auch geringer Mengen Cannabis soll strafrechtlich verfolgt werden. [Sollen dafür 2000 neue Polizisten eingestellt werden?]
  • Brachliegende Grundstücke sollen nicht für sozialen Wohnungsbau enteignet werden.
  • Jagd auf den bösen Wolf.
  • Keine Frauenquote für die Landesbehörden, keine individuelle Kennzeichnung von Polizisten.
  • Keine Grundrente und natürlich Kürzung von Hartz-IV, falls die Empfänger ihren „Mitwirkungspflichten“ nicht nachkommen. Keinen gesetzlichen Anspruch auf Freistellung zur Weiterbildung. Landesaufträge auch an Firmen, die keinen Tariflohn zahlen. [Soviel zum Thema Partei der sozialen Marktwirtschaft, hierzu das Bildungsangebot der bpb, sehr empfehlenswert gerade auch für CDU-Politiker und AfD-Wähler, die noch an der Realität interessiert sind.]
  • Militärische Forschung an Hochschulen nicht verbieten. [Kann man das auf die NATO-2% anrechnen?]
  • Schulnoten aber der 1. Klasse [auch für Rechtschreibung?]
  • Sichere Braunkohlearbeitsplätze und nein zu CO2-Steuern; weder allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen [wo sonst kann man seinen klimaschonenden 2t SUV ausfahren?] noch ausschließliche Förderung alternativer Antriebe oder gar von erneuerbaren Energien. Emissionsbedingtes Global Warming ist auch bei der offiziell ergrünten CDU offensichtlich kein Thema, auch wenn man nicht öffentlich klimaleugnet wie die AfD.
  • Wahlalter nicht senken. [Kann man sehr gut verstehen, wenn man sieht in welcher Altersgruppe AfD und CDU ihre Stammwähler teilen.]
  • Zentrale Internierung von Asylbewerbern. [Wegen den guten Erfahrungen damit, als Deutsche generell, aber auch mit Blick über den Großen Teich.]
Schaut man sich an was AfD, aber auch die CDU unterhalb von Mutti will (und vor allem nicht will), fallen einem drei Dinge ein:
  1. Wähler der AfD und CDU sind typischerweise so alt wie ich oder älter. Hat man in der DDR keine Filme wie Die Brücke in der Mittelstufe gezeigt bekommen?
  2. Die französischen Republikaner (die ehem. UMP) sind bei ihrem Versuch Le Pen rechts zu überholen und Orban zu kopieren nicht alleine in der Europapartei EVP. Zumindestens auf Länderebene und im Osten, ist die CDU auch voll mit dabei. Als 'Mitte-rechts' (Übersicht von der englischen Wikipedia, vgl. bpb-Info zur CDU) qualifizieren sich nur noch die Kanzlerin, die eigentlich der neugegründeten Ost-SPD beitreten wollte, und die Regierungs-SPD (wie man sehr schön am Brandenburger Wahl-O-Mat Netz sieht).
  3. Die Erklärung von Klings Känguru zum Thema Rechtspopulismus: Ein Kapitalist, ein Wähler und ein Asylant gehen in ein Restaurant und bestellen 100 Würstchen. Der Kapitalist schnappt sich 99 und sagt dann zum Wähler: „Paß auf, der Asylant frißt die dein letztes Würstchen weg!“
Aber obwohl man so viele Gemeinsamkeiten hat, ist das Knacken der Haselnuß ein No-Go für die ehemalige Frei-Staatspartei CDU. Und die AfD hat auch kein wirkliches Interesse daran, denn gegen die „Anderen“ Maulen geht nun mal besser aus der Opposition. Einfacher verdientes Geld ist es auch. Als sächsischer Landtagsabgeordneter verdient man ab Januar 2019 8768,42 € (Grundentschädigung + Kostenpauschale), als Minister hat man viel mehr Verantwortung für kaum mehr Geld (muß dafür aber aufpassen, mit wem man auf Ibiza seinen Vodka-Red Bull kippt).

Für den recht(s)gläubigen sächsischen Wähler noch das Detailnetz (Netze) nach Themen sortiert. Klassisch-konservative bzw. rechte (neoliberale) Thesen in blauer Schrift, in rot, ansonsten typisch linke Forderungen (kaum zu finden bei der erzneoliberalen AfD, dafür aber bei, auch programmatisch, „sozial-nationalistischen“ Parteien).

Arbeit

Schule und Bildung

Immigration, sozialer Wohnungsbau, Wählen

Sicherheit

Umwelt

Wirtschaft

Für jeden etwas dabei, der Multikulti für gefährlich hält und für den die christliche Tradition des Abendlandes ausschließlich darin besteht trotz überbordendem Reichtum (für die nicht-funktionierende Bundeswehr geben wir 2019 43,2 Mrd. € aus, und um das NATO-2%-Ziel zu erreichen sollten es ~ 80 Mrd. sein) kriegsvertriebenen Moslems und anderen (Boots-)Flüchtlingen die Tür zu zeigen (Und wenn es Jesus wäre?).

Schade eigentlich, daß man sich zwar die Mühe macht zur Wahl zu gehen, aber nie von der vorhandenen Wahl Gebrauch machen kann/macht.

Noch ein Hinweis für den Detailinteressierten: Trotz Parteiwahl und -disziplin gibt es durchaus Unterschiede von Politiker zu Politiker auch innerhalb der Parteien. Um sich darüber ein Bild zu machen, gibt es den hervorragenden Service von abgeordnetenwatch.de:


Geht wählen! Aber koaliert nicht auf Biegen und Brechen


Egal wo man das Kreuz macht (ob an der richtigen Stelle oder der falschen und hier gilt dasselbe wie beim Rhein), immer dran denken:

Frei wählen gehen zu können ist ein immer seltener werdendes Privileg. Also geht!

Aber beschwert euch nachher nicht über Parteien, die ihr nicht oder zu wenige von euch gewählt habt/haben.

Und liebe sächsische (eher, s.u.) linksliberale Parteien:

Wenn die Mehrheit der sächsischen Wähler tatsächlich am Wahlsonntag AfD und CDU wählt und die obige Thesenliste gut findet, ist es nicht eure Verantwortung die Sachsen vor ihrer Wahl zu schützen!  

Dafür haben wir die EU und den EuGH (der Wolf steht EU-weit unter Schutz), den Föderalismus, den Verfassungsschutz und das Grundgesetz. Kein noch so braunes Schaf im (selbstgejagten) Wolfspelz in der Regierung Sachsens wird das Vierte Reich ausrufen. Aber die dem „Zentrismus“ (Wikipedia) verschriebene CDU muß endlich mal Farbe bekennen und die AfD ein Quäntchen von dem liefern, was sie so vollmundig verspricht und, insbesondere im Osten, so viele Wahlwillige aufsaugen.

Wenn es um Wahlen geht, kann man es nicht oft genug zeigen. Die auf Programm und Realpolitik-basierte 2-Achsen-Einstufung der Bundestagsparteien durch den Political Compass (in Englisch und, weiter unten, auf Deutsch) im Vergleich zur Kategorisierung auf der deutschen (aufgezählte Ismen) und englischen Wikipedia (political position – generelle politische Position). Einfach mal sich die Zeit nehmen und den Selbsttest machen.


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