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Koalitionäre Knebel – der Real-O-Mat zur BTW2025

Im letzten Post, einem long read (es sind halt seltsame Zeiten), gab's das bekannte Wahl-O-Mat Netz zur Wahl am Sonntag. Hier werfen wir einen kurzen Blick in die Realität der letzten Legislaturperiode mittels dem neuen Angebot: Real-O-Mat.

Bei den Wahl-O-Mat Thesen antworten die Parteien entsprechend ihrem Programm (Grüne, Linke, ödp, Piraten, PARTEI, SSW), ihrer Ideologie (Bayernpartei, Bündnis C, Christliche Mitte, FDP, MLPD, PdH, PdF, SGP, Tierschutzpartei, Volt), und/oder ihrem opportunistischen Bedürfnis bei einer immer älter und dümmer werdenden — früher dank BILD/Springer, dann kamen ntv und RTL2 dazu, heute v.a. durch die asozialen Hetzwerke Facebook, Telegramm und, jetzt wieder unchained Twitter/X — möglichst großen Wählergruppe anzukommen (AfD, BSW, Bündnis Deutschland, CDU/CSU, dieBasis, SPD, Team Todenhöfer, WerteUnion). Die persönliche, hohe Übereinstimmung mit einer Partei und den ihr, thesenmässig nahen Parteien entspricht also einem Ideal, das nach der Wahl auf Grund der 5%-Hürde, des Koalitionszwangs — keine Minderheitsregierungen — und der Wählermehrheitsmeinung — autoritär/ konservativ/ nationalistisch/ wirtschaftlich-rechts: klare Mehrheit für CDU/CSU + AfD + FDP — in der Realität dann kaum noch eine Rolle spielt.

Hier setzt der Real-O-Mat an: Die Wählenden können ihre Übereinstimmung mit dem tatsächlichen Abstimmungsverhalten, der realen Politik der im Bundestag vertretenden Parteien, abfragen an Hand von 20 Thesen/Gesetzesanträgen der im Bundestag vertretenen Parteien. So die Theorie.

Im Gegensatz zum Wahl-O-Mat, bietet der Real-O-Mat klarere Kategorien (aus analytischer Sicht): "Nein, geht mir zu weit", "Ja, finde ich auch", "Nein, reicht mir nicht aus", die sich direkt als geordnete Merkmale kodieren lassen (0 → 1 → 2). Die maximal-mögliche paarweise Distanz ist auch hier wieder 2: beide Parteien lehnen alle Thesen ab, aber jeweils aus diametralen Gründen: die eine, weil sie ihr eine These zu weit geht, die andere weil sie nicht weit genug geht. Bei Wahl-O-Mat kann es sein, daß Parteien vom gegenüberliegenden Spektrum beide einer These nicht zustimmen, eben weil sie der einen nicht weit genug geht, die andere sie aber grundlegend ablehnt. Um eine Assozierung mit dem politischen Gegner zu verweiden, wählen Parteien bei solchen Situationen gerne dann die Option "neutral", was wiederum Schärfe aus der Analyse rausnimmt.

Limitierungen

In der Realität sind die Distanzen kleiner, weil es relative viele Thesen gibt, bei denen keine der am politischen Tagesgeschäft beteiligten Parteien gesagt hat: "Nein, reicht mir nicht aus" und man daher diese Option überhaupt nicht auswählen kann. Was meiner Meinung nach sehr schlecht gelöst ist, weil ich als Wählendes ja meine tatsächliche Übereinstimmung feststellen will mit dem Abstimmungverhalten der Parteien im Parlament und ihren Begründungen dazu. Und wenn dann keine auf ordentliche Prozente kommt, festellen muß: die, die dort im Parlament die Luft verdrängen, wähle ich einfach nicht mehr.

Besser gelöst ist, und auch kodierbar für die Distanzberechnung, wenn die Position der Partei hinsichtlich einer These nicht verwertbar war ("?"; missing data). Im Falle des BSW bei 13 der 20 Thesen, je 1-mal bei AfD + SPD (These 20: Dieselsteuerbefreiung für Bauern) und FDP + Grüne (These Taurus-Lieferungen, dafür bzw. z.T. dafür aber wollten dem Schau-Antrag der CDU/CSU nicht zustimmen). Wobei der Teufel auch hier im Detail liegt: in 2 Fällen hat das BSW abgestimmt aber keine Begründung geliefert, weswegen die Real-O-Mat Macher das Abstimmungsergebnis als nicht verwertbar verworfen haben. In beiden Fällen habe ich das Abstimmungsergebnis kodiert. In 9 Fällen geht es um Abstimmungen, die stattfanden, bevor das BSW sich konstituiert hat. Da aber alle Abgeordneten des BSW von der Linken kommen, gilt in diesen Fällen strikt-genommen noch das Abstimmungsverhalten der Mutterpartei und kann entsprechend durchkodiert werden. Lediglich in zwei Fällen bleibt somit das "?" stehen. Abstimmungen bei denen sich das neu-gegründete BSW gedrückt hat und durch Abwesenheit glänzte:

  • Schwangere, die sich zu einem Schwangerschaftsabbruch beraten lassen möchten, sollen besser vor Gehsteigbelästigung geschützt werden.
  • Zur besseren Bekämpfung von schweren Verbrechen sollen IP-Adressen länger, nämlich für 3 Monate, gespeichert werden.

Im Fall von These 20, AfD dafür, hat sich aber enthalten, weil die CDU/CSU ihrem Antrag [PDF] nicht zugestimmt hat, habe ich die Kodierung entsprechend auf 2 gesetzt. (Das Netz entsprechend der originalen Real-O-Mat Kodierung ist am Ende des Post angehängt.)


Der Unterschied zwische Schein und Sein? Nein. Zwischen Wollen und Können

Für mich als unverbesserlichen (und unvermeidlich)&lbquo;linksgrünversifften” Wissenschaftler (Evolutionsbiologe mit Fokus Erdgeschichte), bedeutet der Ansatz des Real-O-Mat, daß ich unweigerlich bei der einzig-verbliebenen mitte-links Oppositionspartei landen muß mit maximaler Übereinstimmung.


Schön zu sehen in meinem Profil auch der Koalitionseffekt: obwohl links und grün und absolut nicht gelb (siehe letzter Post, meine letzten 5: FDP 30%, gefolgt von Bündnis Deutschland, Bayernpartei, WerteUnion, und mit 18% ganz unter AfD), ist meine exakt gleich schlechte Übereinstimmung mit den herkömmlichen mitte-links aber Regierungs-Parteien Grüne — meine alternativlose Erstwahl als ich 18 wurde, denn ich kannte den Bericht des Club of Rome und hatte mich gründlich informiert (ein Danke an das kostenlose, damals gedruckte Informations- und Bildungsangebot der bpb) — und SPD — kam nie in Frage, bin immer noch zu jung dafür — und ihrem Koalitionpartner vom anderen Ende des politischen Spektrums, der dezidiert anti-sozialen, anti-ökologischen, mittlerweile aus Umfrage-Panik libertär-daherkommenden FDP (s.a. Lernen mit Lindner – die Geometrie der Mitte). Dazu nochmal die Einordnung durch den Political Compass, um 45° gedreht, mit klassischer (bekannter) Links-Rechts-Achse (und Begriffen) und Kategorien.


Grüne und SPD sind programmatisch vielleicht mitte-links, realpolitsch sind sie eher mitte-rechts. Das liegt natürlich an den Koalitionsverträgen, die sie gezwungen sind mit rechten Parteien zu schließen, die in den allermeisten Fragen überkreuz liegen. Wirklich grüne und soziale, mitte-links, Politik wäre nur möglich gewesen ohne die FDP, wohl aber mit der Linken. Weswegen nicht wenige CDU/CSU-Sympathisanten 2021 strategisch gewählt haben — FDP — eine Mehrheit gegen rechts fürchtend, sollte die FDP nicht ins Parlament kommen. Und die Ampel wurde unvermeidlich. Eine zentristische Regierung ganz nach dem Geschmack des französischen Wahl-Königs – ni-gauche-ni-droite (nicht-links-nicht-rechts) — gegen eine (kleine) linke und große rechte Opposition.

Null-Distanz zwischen den Amplern: Grüne und SPD haben sich verbogen, die FDP hat regelrechte Pirouetten in Serie gedreht. Wenig überaschend: als Koalition stimmt man natürlich geschlossen für die eigenen Anträge und geschlossen gegen die der Opposition. Die Opposition tut das Gegenteil. Obwohl die FDP in den Wahl-O-Mat Netzen und politischen Koordinatensystemen (Political Compass, s.a. Ein paar Infografiken für die Wahl in Niedersachsen) immer weitestmöglichst entfernt von SPD und insbesondere auch den Grünen (siehe wieder Lernen mit Lindner...) war man fast ein Herz und eine Seele in den gut 3 Jahren Ampel-Koalition. Wobei, wenn man sieht worin sich die drei einig waren, Herz haben sie nicht übermässig viel gezeigt und gegenüber ihrem Anspruch (siehe Wahl-O-Mat Post 2021) ihre Seelen arg gepeinigt.


Fazit: Was der Real-O-Mat liefert

Über die eigene politische Einstellung und die Übereinstimmung mit oder Ausrichtung der Parteien sagt das Real-O-Mat Angebot sehr wenig aus, weil die Regierungsparteien in Deutschland durch einen Koalitionsknebelvertrag aneinander gekettet sind. Man sieht jediglich, ob man eher mit der Regierung oder der linken oder rechten Opposition übereinstimmt. Für die kommende Wahl bringt das Null. Die nächste Regierung wird zwar wieder eine Chimäre sein, gefesselt aneinander durch den Koalitionsvertrag, gezwungen Politik abzuwinken, die eigentlich gegen den Kern der Parteiphilosophie geht. Wenn eine Partei wie die FDP, die über eine Generation lang Mindestlöhne verteufelt hat, einen solchen abnickt, um die von Grünen und SPD noch bis zur Wahl gefordete Vermögungssteuer zu verhindern, ist das kein demokratischer Kompriss sondern ein fauler Handel und Verrat am jeweiligen Wahlvolk. Koalitionsverträge zwischen politisch inkompatiblen Parteien sind ein Grund, warum eine Un-Partei wie die AfD, die nur Krawall und Opposition kann, so groß werden konnte. Den anderen Grund erkennt man allerdings auch im Real-O-Mat Netz: die unleugbare Nähe der selbsterklärten „Partei der Mitte“ zur AfD. Beide Parteien teilen eine klare Ablehnung gegenüber jeder liberalen und sozialen Politik, selbst zarte Ansätze wie die der verblichenen Ampel. Und dank Wahl-O-Mat und Political Compass weiß man, daß das auch gilt, wenn man die Wahlversprechen und -aussagen der Parteien zugrunde liegt und nicht nur ihre Taten als parlamentarische Regierung oder Opposition.

Wer CDU/CSU wählt, wählt keine Rechtsradikalen (mehr, in der Frühzeit der Bundesrepublik war das noch anders, Stichwort: Filbinger; Knackt endlich die Haselnuß!, long-read von 2019), aber man wählt eine Politik, die verflucht nah dran ist an den Zielen der Rechtsradikalen. Die absolutie Mitte ist mittlerweile sehr weit links von der „bürgerlichen Mitte“. Und, da bin ich optmistisch, die Mitte der Deutschen ist auch links davon, nur wissen sie es nicht. Haben halt nie einen politischen Selbsttest gemacht, geschweige mal ein Parteiprogramm in die Hand genommen.

Da die CDU/CSU sich immer noch ziert den Schritt vieler ihrer europäischen Schwesterparteien zu gehen – weil die AfD halt deutlich schmuddeliger daherkommt als Wilders Anti-Islam-Truppe, die ex-Nazis der Schwedendemokraten, die den Duce-anhimmelnden Post-Faschisten Italiens oder die Neo-Falangisten Spaniens – aber stärkste Partei wird, Minderheitenregierungen aber nicht möglich sind (Offenbarungsgefahr) heißt das für die kommenden 4 Jahre Schwarz + Rot, oder Afghanistan-Koalition: Schwarz-Rot-Grün. Kombinationen, die der Real-O-Mat nicht abdecken kann, weil inkompatibel mit der Situation vor der Wahl. Wer eine hohe Übereinstimmung mit der Oppositionspartei CDU/CSU hat, muß enttäuscht werden. Wer eine niedrige Übereinstimmung mit den Regierungs-Grünen hat, wird sich überaschend wohlfühlen bei denselben Grünen, sobald sie wieder Opposition sein können gegen eine Politik die Umwelt-verachtend ist, wie die der CDU/CSU. Und AfD. Und FDP, sofern sie denn reinkommt. Der Real-O-Mat 2029 wird ganz anders sein als der jetzt, aber genauso voraussehbar. Die Koalitionäre werden ununterscheidbar sein und die Opposition in 2-3 Teile zerfallen (je nachdem wer reinkommt). Der Wahl-O-Mat 2029 wird sich hingegen kaum ändern; vielleicht wieder mehr aussehen wie der von 2021.


Und was ist mit dem Kreuz?

Wer seine Hände in Unschuld waschen will und Merz nicht als Kanzler gewählt haben will, vielleicht weil man halt immer noch glaubt, die Welt könnte besser werden; wer eher politisch links, progressiv und/oder liberal ist, kann nur noch bei den Linken sein Kreuz machen um ein Zeichen zu setzen gegen den rechten Mainstream. Wenn genug das machen, reicht es vielleicht irgendwann mal wieder sogar für eine mitte-links Regierung.

Wer das alles nicht glaubt und nicht ist, möge halt das Kreuz schlagen bei CDU/CSU. Auf keinen Fall die Stimme wieder an die FDP verleihen (Schlandkoalition wäre auch der SPD ihr schneller Tod; Jamaica ist illusorisch und tödlich für die Grünen, und eine Simbabwe-Koalition, Grün-Rot-Gelb-Schwarz wäre dann doch sehr Weimarer Republik). 30+% für die Union braucht es aber schon, da kann man keine Stimme verschwenden. Veilleicht reicht's ja für Schwarz-Rot ohne die bei rechten Wählern, der Wahlklientel der „Partei der Mitte“ verhaßten Grünen.

Wer verhindern will, daß Söder und die CSU das Cannabisverbot wieder einkassiert, muß sein Kreuz immer noch bei den Grünen machen, um die Afghanistan-Koalition zu triggern. Klar sollte aber jedem sein: Wer am Sonntag SPD oder Grün wählt, wählt posthum Helmut Kohl und den bleiernden Stillstand. Nur vermutlich diesmal ohne Atomkraft, da wird schon der Druck der Energielobby für sorgen.

Wer manches davon glaubt und anderes nicht, Merz genauso blöd findet wie Scholz aber v.a. die Grünen als Steigbügelhalter verhindern will für das Recht auf den Kohleofen im Keller: Mut zum Risiko und Kreuzchen für das BSW. Hat doch super geklappt im Osten.

Wer aber von der Leyens Busenfreundin Meloni, Kettensägen-Milei, Borderfascho-Kettensägen Musk, Kathofascho Orban, Humpty-Trumpty, dessen besten Kumpel Zar Putin und das fleischgewordene Paradox Weidel (queer-multikulti und rechtsextrem) toll findet, sollte und kann sein Kreuz machen bei der AfD. Es wird (noch) folgenlos — typische Folgen ultra-rechter Regierungen sind administratives Chaos, Vetterleswirtschaft, Bereicherung weniger auf Kosten vieler (s. Argentinien, Italien, Ungarn, USA) — bleiben. Weil es dafür einfach (noch) keine Mehrheit gibt; die unteren 90% sind einfach noch nicht dumm genug in Deutschland. Wohl gibt es aber eine stabile Mehrheit für die ganz klassische mitte-rechts Politik. Denn alt genug sind die meisten.

Quelle: SZ v. 10.2.2025, S. 5 – Altersstruktur der deutschen Wahlherde

PS A propos alt: Wer immer noch SPD wählt, trotz der Politik der letzten 20 Jahre (3/4 davon am Rockzipfel Muttis, als Mitschuld an der Misere in der wir uns wähnen), dem sei es gegönnt. Nostalgie bleibt schön auch wenn die Realität nichts mehr damit zu tun hat. Außerdem: Alterssenilität ist nicht heilbar, und auch nicht therapierbar.

PPS Wer immer noch FDP wählt aus Überzeugung, und kein Steuerbetrüger, 'tschuldigung, -optimierer, oder Erbmillionär ist, war immer schon unglaublich schlecht informiert, oder schlicht dumm.

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